Besonders heute, in Zeiten mit vielfältigen Einschränkungen, erhalten existenzielle Dinge wie Kochen, Essen, Gemüseanbau und Gartenarbeit eine völlig neue Bedeutung.
Viele möchten im eigenen Garten oder auf dem Balkon richtige Erde beackern, zusehen wie selbst ausgesäte und gezogene Pflanzen wachsen und natürlich irgendwann ernten. Wir beobachten plötzlich Insekten, Vögel und andere Tiere um uns herum bewusster. Wir nehmen auf Spaziergängen Pflanzen wahr, die wir vorher nicht beachtet haben.
Ein guter Zeitpunkt, sich ein paar Gedanken über den Anfang unserer pflanzlichen Nahrung zu machen. Und wie es um das Saatgut generell hier und anderswo bestellt ist.
Der Same — winziges Wunder
Alle Anlagen sind auf kleinstem Raum im Samen enthalten. Zum Gedeihen braucht er nichts weiter als Licht (das heisst Wärme), Wasser und Erde (das heisst Nahrung und Halt). Sein Aussen perfekt ausgerüstet für seinen einzigen Zweck, den besten Ort zum Keimen zu finden. Federleicht, damit er vom Wind an seinen neuen Standort getragen wird. Oder mit unglaublich dicker Schale, um Feuersbrünste zu überstehen. Oder er keimt erst, wenn er Eiseskälte durchgestanden hat oder im flachen Wasser mit sumpfigem Untergrund zu liegen kommt.
Fakten zur weltweiten Situation von Saatgut
Seit Jahrtausenden gehört Saatgut der wichtigsten Kulturpflanzen zur Existenz und Entwicklung des Menschen. Bereits über 80% der Sorten, die wir einmal genutzt haben, sind verschwunden. Eine ungeheure Zahl, die diesen immensen Verlust beschreibt.
Angesichts dieser kritischen Situation wird klar, wie wichtig frei zugängliches Saatgut für uns ist. Die eigentlichen Sammlungen von Saatgut alter Kulturpflanzen, die bisher öffentlich zugänglich waren, befinden sich in staatlichen Genbanken.
Diese Sammlungen sind jedoch in Gefahr. Aus verschiedenen Gründen werden sie abgebaut, viele der vorhandenen Kollektionen gehen so verloren. In einigen Ländern investieren Regierungen öffentliche Mittel um ihre Genbanken für die Forschung der Gentechnikindustrie zugänglich zu machen.
Um das Schlimmste zu verhindern, gibt es zwar den Svalbard Global Seed Vault. Nur reicht das bei weitem nicht aus, das Verschwinden der wichtigsten Kulturpflanzen unserer Ernährungsgrundlagen wie Mais, Reis und Weizen, aufzuhalten.
Die Sicherungskopie im ewigen Eis
Der Svalbard Global Seed Vault steht irgendwo auf Spitzbergen an der norwegischen Küste. Seit 2008 liegen dort 1.2 Mio. Samenproben von 249 Ländern in Lagerkammern mit einer Temperatur von -17.9 Grad Celsius. Diese Sicherungskopien bilden eine Arche, auch genannt «Speicher des jüngsten Tages». Das sollte uns jedoch nicht verleiten, beruhigt die Hände in den Schoss zu legen und nichts mehr für die Samenvielfalt zu tun. Denn Vielfalt lebt nur in kleineren Samenbanken weiter. Diese Sammlungen an Saatgut müssen ständig auf deren Keimfähigkeit überprüft und immer wieder ausgesät werden, um eine Art zu erhalten.
Was andere sagen, denen Artenvielfalt am Herzen liegt
Für die Erhaltung alter Weizensorten engagiert sich in Europa zum Beispiel Longo Maï.
«….Wenige Weizensorten sogenannte Hochleistungssorten beherrschen den Markt. Diese sind mitunter gentechnisch verändert und weder an klimatische Verhältnisse noch an regionale Bedingungen anpassungsfähig. Deshalb müssen sie mit Pestiziden und Düngemitteln unterstützt werden. Wer also keinen Zugang zu Saatgut von Kulturpflanzen hat, ist vollständig von wenigen, weltweit agierenden Konzernen abhängig….»
Der Doku-Film ‚Seed – unser Saatgut, wir ernten, was wir säen’ von Taggert Siegel & Jon Betz zeigt uns die Situation in den USA. Die Autoren porträtieren Einzelpersonen und Communities in den USA, die sich mit Saatgut auseinandersetzen und wertvolle Sammlungen angelegt haben. Der Kampf um die Saatenvielfalt scheint manchmal schon verloren, macht aber auch eindrücklich klar was Saatgut ist «….eine Verbindung mit Generationen der Vergangenheit bis in die Zukunft hinein….»
Was kann ich tun zur Erhaltung der Vielfalt von Saatgut
Biodiversität lässt sich im Kleinen durchaus fördern, z. B. mit Saatgut bedrohter Sorten, indem wir als Privat-GärtnerInnen und BäuerInnen diese Pflanzen auf 1–2m² ansäen und dieses Saatgut wieder verwenden, mit NachbarInnen und FreundInnen austauschen. Saatgut von Betrieben kaufen, die biologisch produzieren und neben neueren Züchtungen auch alte, fast vergessene Sorten wieder in ihr Sortiment aufnehmen. In der Schweiz kümmern sich Zollingers drum (alter Beitrag zum Tag der offenen Tür), die Sativa in Rheinau und Biosem in der Westschweiz. Ein neuerer Betrieb ist arthasamen.ch in Münsingen Bern.
Ausserdem müssen wir uns weiterhin politisch für ein Verbot von ‚Patenten auf Saatgut’ einsetzen und den Kampf von Organisationen und Stiftungen wie ProSpecieRara unterstützen.
Wir können nicht untätig zusehen, wie so viele Pflanzen durch verlorenes Saatgut für immer verschwinden. Also – legen wir los und pflanzen wir an.
Im Beitrag ist selbstverständlich nur eine kleine Auswahl der sich für Saatenvielfalt einsetzenden Menschen erwähnt. Gut, arbeiten viele weitere in allen Erdteilen daran ihre regionalen Pflanzen zu erhalten, um sie kommenden Generationen weiter geben zu können.
Themenlinks
www.saemereien.ch Online Shop mit diversen Lieferanten – einige davon produzieren und verkaufen biologisches Saatgut.
www.sortengartenpeterochsner.com Privater Samenpfleger mit speziellem Fundus.
Bioverita Saatgut aus biologischer Züchtung für Bäuerinnen
www.missionb.ch Informationen über das Projektende hinaus
floretia.ch Onlineplattform für Auswahl und Pflege von wertvollen Wildpflanzen
Quellenangaben: Longo Maï, Texte zum Thema aus Faltblatt, 2007
Public Eye (vormals Erklärung von Bern), ProSpecieRara, Texte aus ‚Saatgut bedrohte Vielfalt im Spannungsfeld der Interessen, 2014